„Deutschland braucht die Jugend – und die Jugend braucht Deutschland“

Kein Hollywood-Streifen. Aber ein Leben wie im Film: Als 20-Jähriger startete Cem Gülay seine Gangsterkarriere. Er war in einer Bande organisiert. Sie betrogen und erpressten gewerbsmäßig. Nach sieben Jahren stieg er aus. Heute ist Cem Gülay 39 Jahre alt und Buchautor: „Türken-Sam: Eine deutsche Gangsterkarriere“, hat er gemeinsam mit Helmut Kuhn geschrieben. Er erzählt in seiner Autobiografie über das Leben als Gangster und warnt die Politik vor einer verfehlten Migrationspolitik. Journalist und Autor Murat Ham im Gespräch mit Cem Gülay.

MiGAZIN: Sie sprechen gutes Deutsch und haben Abitur gemacht an einem bürgerlichen Gymnasium in Hamburg. Dann folgte kein Studium, sondern eine Gangsterkarriere. Was sind die Hintergründe?

Cem Gülay: Mich hat der Alltagsrassismus im Handel, bei der Ausländerbehörde, aber auch in der Schule belastet. Beispielsweise habe ich während eines High-School-Jahres in Florida mitbekommen, dass schwarze und weiße Schüler die Anti-Diskriminierungs-Gesetze respektieren. Rassistische Bemerkungen werden mit Schulverweis geahndet. Doch Deutschland tut sich schwer. Hier herrscht eine andere Realität.

MiGAZIN: Was meinen Sie genau?

Gülay: Als ich zum Beispiel noch Gymnasiast war, wurde ich zum Schülersprecher gewählt. Aber ich habe dieses Amt aus einem Grund wieder abgegeben: Der Schuldirektor sagte, er könne keinen türkischen Schulsprecher dulden. Das war wie ein Schlag ins Gesicht.

MiGAZIN: Sie haben als Gangster etliche Opfer krankenhausreif geschlagen und wollen heute die Jugend schützen …

Gülay: Am Ende geht es um Respekt. Ich wollte als Gangster respektiert werden. Ich suchte meine Chance und fand die Akzeptanz nicht in der deutschen Gesellschaft, sondern im kriminellen Milieu. Der Weg war nicht richtig. Das weiß ich heute auch. Viele Deutsch-Türken fühlen sich ausgegrenzt. Ich kenne das Gefühl.

MiGAZIN: Welches Ziel hat das Buch?

Gülay: Ich weiß genau, wie die Jugend heute im Ghetto tickt. Ob Berlin-Neukölln oder andere soziale Brennpunkte in Deutschland, viele Jugendliche haben keine Perspektive. Sie sind wütend und fühlen sich benachteiligt. Die Politik darf die Generation nicht für verloren erklären. Migrantenkinder sollten nach Quoten vermehrt in deutschen Schulen verteilt werden. Ich will eine echte Chancengleichheit für alle. Deutschland kann sich auch keine brutale Jugend leisten. Deutschland braucht die Jugend – und die Jugend braucht Deutschland.

Quelle: Migazin, 19. März 2010